BLOG: Deine Stimme für Inklusion
Deine Stimme für Inklusion mach mit! | |
Regens Wagner Der inklusive Blog | |
Der 5. Mai ist der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Jedes Jahr laden Verbände und Organisationen der Behindertenhilfe und -selbsthilfe zu verschiedenen Aktionen ein, um auf die Situation von Menschen mit Behinderung in Deutschland aufmerksam zu machen. Dieses Mal lautet das Motto: Deine Stimme für Inklusion mach mit! Es ist ein Aufruf an alle Menschen, Missstände aufzudecken, Teilhabe-Barrieren sichtbar zu machen und Menschen mit Behinderung dabei zu unterstützen, sich für ihre Rechte einzusetzen für mehr Miteinander statt Nebeneinander. Die Offenen Hilfen im Landkreis Bayreuth von Regens Wagner starteten am 5. Mai 2021 mit einem wöchentlichen Blog. Wir haben uns in unserem Umfeld umgehört und Mitarbeiter, Angehörige und Betroffene dazu ermutigt, sich an unserem Blog zum Thema Barrieren zu beteiligten. | |
Lesen Sie heute den Beitrag einer hörbehinderten Mitarbeiterin. | |
Hörgeräte drin? Hörgeräte drin? Maximale Lautstärke des Telefons eingestellt? Sonstige Störgeräusche eliminiert? Diese Gedanken gehen mir als hörgeschädigte junge Frau vor jedem Telefonat oder Videocall durch den Kopf. Manchmal muss ich selbst schmunzeln, wenn ich die einzelnen Punkte wie bei einer Checkliste abhake. Bayreuth, 11.30 Uhr Teambesprechung der Offenen Hilfen Pegnitz, Videoschalte, parallel Telefonschalte je nachdem wo sich der Sprechende im Raum befindet, wird das Telefon in die Nähe gelegt, damit ich am anderen Ende alle gut verstehen kann. Manchmal ist es mit Anstrengungen verbunden, alles mitzubekommen. Ich sitze hinter einem Konstrukt aus Büchern, auf dem ich das Mobiltelefon für die Videoschalte platziere; vor mir liegt der Hörer des Festnetztelefones. Konzentriert lausche ich den Ausführungen meiner Kolleginnen. Nicht immer stößt man auf so viel Verständnis bei den Kollegen und kann die eigene Einschränkung doch mit wenig Aufwand so effektiv ausgleichen. Dass ich durch eine Schwerhörigkeit und chronischen Tinnitus einiges an Hörvermögen einbüße, merkt man mir nur selten an. Auch wenn sich manche Tonspektren durch Hörhilfen nicht mehr ganz ausgleichen lassen, gewinne ich dadurch einiges an Lebensqualität wieder. Hilfsmittel sind eine tolle Sache! | |
In größeren Gruppen habe ich manchmal Probleme den Sprechenden zu verstehen, vor allem wenn Nebengeräusche oder -gespräche da sind. In den Teamsitzungen meines vorherigen Arbeitgebers war ich meist zeitig vor Ort, um einen der vorderen Plätze zu reservieren, damit mir mein Gehör kein Schnippchen schlägt. Wirkte zeitweilig etwas ambitioniert, hatte primär aber einen praktischen Hintergrund. Obwohl ich durch die Arbeit mit Menschen mit Behinderung sensibilisiert für diverse Themen wie Barrierefreiheit bin, passieren auch manchmal Situationen wie folgende: Im Hausgang des Bürogebäudes ist ein Zettel angebracht, mit dem sich zu einem bestimmten Termin der Heizungsableser ankündigt. Kurz vor dem Termin wird dieser durch einen weiteren Aushang revidiert. Am Tag des ursprünglichen Termines, klingelt ein Nachbar, um zu fragen, wo denn der Ableser bleibt, seine Kollegin habe ihn über sein Kommen informiert. Ohne großartig darüber nachzudenken, antworten meine Kollegin und ich, dass dieser heute nicht komme, es habe doch einen weiteren Aushang dazu gegeben. Ja, das kann sein, doch den habe ich nicht gesehen, weil ich nichts sehe, erwidert der Nachbar, dessen Sehbehinderung wir in diesem Moment nun gar nicht parat hatten. Zum Glück nahm es der Nachbar mit Humor. Uns beiden gab diese Situation im Nachhinein doch erstmal zu denken. Wie man an diesem Beispiel sieht: Humor kann helfen, aber auch klares Ansprechen. Manchmal darf man sich selbst nicht so ernst nehmen. Darüber hinaus kann man sich vorstellen: Manchmal ist es für mich ganz angenehm, nicht mehr alles hören zu müssen. Das darf man sich dann guten Gewissens auch Mal zugestehen. | |
Wie gestaltet sich Ihr Alltag - sind Sie vielleicht auch mit Barrieren konfrontiert? Wenn Sie Interesse daran haben genau auf diese aufmerksam zu machen, können Sie jederzeit Kontakt zu uns aufnehmen unter: offene-hilfen-pegnitz@regens-wagner.de Gemeinsam können wir einen Blog erstellen und diesen dann im Rahmen des Protesttages zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung veröffentlichen. | |
Frühere Beiträge: | |
16.06.2021: Beitrag über den Alltag mit einem autistischen Kind. | |
Ein Tag, der im Chaos endete und wir wieder etwas Neues dazulernten Wie jeden Morgen schaffte es Philipp wieder einmal, nicht fertig zu werden: Man konnte ihn mehrfach daran erinnern, dass wir jetzt in die Schule fahren müssen, aber er verbrachte trotzdem noch einige Minuten im Bad. Das ist sein tägliches Ritual, sich mit dem Spiegel zu unterhalten. Nach langen fünf Minuten war es dann soweit und wir konnten mit dem Auto in Richtung Schule starten. Als wir dann dort ankamen, lief sein Schulkollege an unserem Auto vorbei. In der rechten Hand trug er einen Turnbeutel. Auf einmal schauten mich zwei verwunderte Augen an: Wir hatten nicht an den Sportunterricht gedacht und Philipps Sportbeutel lag zuhause. Ich sagte zu ihm: Du hast doch Turnschuhe an, dann lässt du die einfach zum Turnen an, ihr habt ja sowieso außen Sport. Er stieg aus dem Auto aus und lief zur Schule. Und ich dachte es ist alles geklärt. Leider wurde ich eines Besseren belehrt Um 08:20 Uhr klingelte mein Handy - am anderen Ende ein aufgebrachter Sportlehrer, der mir aufgeregt erklärte, dass Philipp nicht zu beruhigen sei, weil er seine Sportsachen nicht dabei hat. Ich ließ mir Philipp ans Telefon geben und erklärte ihm, dass das doch nicht so schlimm wäre, wenn er mit seinen normalen Turnschuhen am Unterricht teilnehmen würde. Die speziellen Sportschuhe sind hauptsächlich in der Turnhalle wichtig. Er weinte und er beschimpfte mich! Es war für ihn unvorstellbar am Sportunterricht teilzunehmen OHNE seine Sportschuhe auf Kompromisse konnte er sich in diesem Moment nicht einlassen. Da er an diesem Tag leider nicht mehr zu beruhigen war, holte ich ihn von der Schule ab und ging mit ihm nach Hause. Seit diesem Tag hängt an unserer Haustür ein Zettel mit der Aufschrift: Sportbeutel nicht vergessen! Für einen Autisten, der Struktur, Sicherheit und Gleichbleibendes braucht, ist es ganz schwierig zu akzeptieren, dass man auch mal etwas anders machen kann. Diese Barrieren werden immer sein, denn im alltäglichen Leben kann man nicht auf alles vorbereitet sein - man muss das Beste aus den Situationen machen und sich selbst Hilfestellungen in den Alltag einbauen, die man natürlich durch Erfahrungen erst erlernt, um nicht wieder in einem Tag voll Chaos zu Enden. Barrieren im täglichen Alltag eines Autisten bewusst oder unbewusst wir werden jedes Mal daran erinnert! | |
09.06.2021: Beitrag darüber, wenn man erst als Erwachsener eine schwere Behinderung erhält. | |
| Der Kampf zurück ins Leben Sepsis. Blutvergiftung diese Diagnose raubte mir im Mai 2015 meine Gliedmaßen! Begonnen hat alles mit einer vermeintlichen Magenverstimmung. Innerhalb weniger Stunden fühlte ich mich richtig schlecht. Ich bekam hohes Fieber, musste mich mehrfach übergeben. Am nächsten Tag konnte ich mein Bett gar nicht mehr verlassen, ich fühlte mich sehr schwach. Weil mir im Jahr 1999, bedingt durch einen Verkehrsunfall die Milz entfernt wurde, beschloss ich mich in der Notaufnahme eines nahegelegenen Krankenhauses vorzustellen. Langsam bekam ich Angst. Während dem organisierten Krankentransport erbrach ich Blut. Plötzlich ging alles ganz schnell. Laut den Ärzten lag meine Überlebenschance damals bei weniger als 30%. Man erzählte mir, dass sich meine Haut blauschwarz verfärbte. Man nennt so etwas Nekrose. Schon da war klar eine Amputation ist unumgänglich! Und alles nur wegen einer fehlenden Impfung nach der Milzentfernung?! Warum hat man mir das nach dem Verkehrsunfall nicht gesagt? In verschiedenen Operationen wurden mir beide Unterschenkel, der rechte Unterarm, sowie die Finger der linken Hand amputiert. Der halbe Daumen an meiner linken Hand konnte zum Glück erhalten bleiben und bietet mir, wenn auch stark eingeschränkt, eine Greiffunktion. In verschiedenen REHA-Maßnahmen musste ich lernen mit den Prothesen umzugehen und den Rollstuhl richtig zu bedienen. Ich machte einen speziellen Führerschein um wieder mobil zu sein. Dass ich das alles innerhalb kurzer Zeit geschafft habe, macht mich sehr stolz! Das nächste Projekt stand an der Umbau des Badezimmers. Durch meine Ausbildung zum Heizungsbauer sowie einer Weiterbildung zum Sachbearbeiter für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik konnte ich meine Ideen nach meinen neuen Bedürfnissen umsetzen. Doch auch nach dem Umbau musste ich feststellen, dass es immer noch Barrieren in meinem Bad gibt, an die hatte selbst ich nicht gedacht! Die Tür war einfach zu schmal ich musste schon ziemlich gut rangieren, um mir in den verbleibenden zwei Zentimeter zwischen Rollirad und Türbogen nicht immer den Stumpf einzuzwicken. Warum sind die Türen in Bädern auch immer so eng gebaut? Ein Duschrollstuhl war keine Möglichkeit für mich. An den nassen Rädern rutschte ich immer ab ohne Finger fehlt da einfach der Gripp! Von der Krankenkasse wurde mir zuerst ein Badewannenlifter genehmigt der hat auch nicht viel geholfen, der ist immer dann ausgefallen, wenn keine Pflegeperson in der Nähe war! Ich würde also heute noch in der Wanne sitzen, wenn ich mir nicht selber zu helfen gewusst hätte. Es war immer eine akrobatische Höchstleistung mich klitschnass vom Badewannenlifter zurück auf den Rollstuhl zu stemmen. Ihr wisst schon ohne Finger kein Gripp! Ich beschäftigte mich also intensiv damit eine andere Möglichkeit zu finden. Nach langer Suche fand ich einen Deckenlifter, den ich alleine und ohne Hände bedienen konnte. Nach mehreren Vorbesprechungen mit dem Hersteller fiel die Entscheidung endlich konnte ich auch mal ohne technische Probleme und Pflegepersonal baden! Wenn auch nicht komplett barrierefrei, ist mein Badezimmer nun barrierearm und für mich selbstständig benutzbar. Und dann gibt es noch diese bisher unbedachten Kleinigkeiten. Versuch Du beim nächsten Baden einfach mal eine Shampooflasche nur mit den Handballen zusammenzudrücken das Shampoo landet ganz sicher nicht dort wo es hin soll. Aber ich bin ja kreativ: Ab in den Baumarkt und Seifenspender zum Pumpen in die Einkaufstasche. Also ist das Problem gelöst das Shampoo auf den Körper zu bringen, aber den Schaum ohne Hände abzubrausen . jedes Mal wieder eine Herausforderung! Aber ich schaffe das schon! Bisher stand ich schon vor weitaus größeren Problemen. Weiterhin kann ich berichten, dass ich mittlerweile beim Rehateam Nordbayern in Bayreuth als Mitarbeiter tätig bin. Wir sind gerade dabei das Projekt Rehateam living ins Leben zu rufen und auszubauen. Ich bin hier für die Wohnumfeld verbessernden Maßnahmen tätig. Mittlerweile haben wir hier auch ein Netzwerk mit externen Firmen gegründet, indem wir Betroffene bei Umbaumaßnahmen vor allem im Bad unterstützen. Ich hätte damals einen Berater gebraucht, der mich unterstützt jetzt bin ich einer! |
02.06.2021: Beitrag über Freizeitprogramme mit Menschen mit Behinderung | |
| Geschüttelt, nicht gerührt! Es ist Samstagabend, die Stimmung ausgelassen. Alle sind pünktlich und haben sich schick gemacht. Alle freuen sich, haben gute Laune und schmieden Pläne für den Abend. Wir sind eine Gruppe von neun Menschen, die in eine Disco wollen neun Erwachsene, sieben davon mit geistiger und/oder körperlicher Einschränkung und 2 Betreuerinnen. Alle quatschen wild durcheinander und warten, bis der letzte angemeldete Teilnehmer da ist. Welche Musik der DJ wohl auflegen wird? Und ob der süße Junge vom letzten Mal auch wieder da sein wird? Die Teilnehmer tuscheln. Endlich kommt auch Tom. Ich setze den Haken auf meiner Liste: Wir sind komplett, steigen ein und meine Kollegin schließt die Bustür. Genau in diesem Moment wird das Fenster des Wohnheims aufgemacht und ein Mitarbeiter winkt mich zu sich: Aber nicht wieder so viel Alkohol wie beim letzten Mal, gell! und weg war er, die Zeit ist heute scheinbar knapp! Ich bleibe verwundert stehen, lasse das Gesagte kurz sacken, drehe mich um und gehe zurück zum Bus. Ich bitte meine Kollegin den Infobogen von Tom herauszuholen. Während sie in unserem Dienstrucksack kramt, um die gewünschten Informationen zu erhalten, kläre ich sie über das kurze Gespräch mit dem Wohngruppenmitarbeiter auf. Im Infobogen, der übrigens für jeden Teilnehmer im Voraus ausgefüllt werden muss, gibt es keine Bemerkung zum Thema Genussmittel. Medizinisch spricht also nichts gegen Toms heiß geliebten Cocktail, auf den er bei fast jedem Discobesuch besteht. Zündschlüssel rein und los geht´s. Ich lasse mich von der guten Laune auf den Rücksitzbänken anstecken und drehe die Musik ein klein bisschen lauter. Vielleicht summe ich auch ab und an mit. (Gut, dass das keiner hört). Ich fahre dem Sonnenuntergang entgegen, mit einem Bus voller guter Laune und höre eine innere Stimme sagen: Für Tom heut kein Alkohol!, Heute nicht, Tom. oder Beim nächsten Mal gibts deinen Cocktail sicher auch noch, Tom. Immer wieder ertappe ich mich dabei, mir Ausreden parat zu legen. Muss das sein? Ist das mein Recht? Warum genau heute keinen Alkohol? |
| Ich nutze die Zeit und spreche offen mit meiner Kollegin über die Bitte des Wohngruppenmitarbeiters:
Tom ist 25 Jahre alt. Er hat keine körperliche Einschränkung und gilt mit einem IQ von 64 als lernbehindert. Tom ist erwachsen! Und wir leben in Zeiten von Inklusion und Selbstbestimmung! Als wir jung waren, haben wir doch auch nein, wir möchten dieses Thema heute nicht vertiefen (ich denke aber, Sie wissen, genauso gut wie ich naja, sie wissen schon) Meine Kollegin und ich verlieren uns etwas in der Thematik, schwärmen über unsere unbeschwerte, glückliche und sorgenfreie Jugend und stellen uns die Frage, ob Inklusion und Selbstbestimmung immer mit Kopfzerbrechen und Unsicherheit verbunden sind. Endlich angekommen - die Lichter sind flackernd, bunt und die Gesichter könnten nicht mehr Freude ausstrahlen als genau in diesem Moment. Alle stehen gespannt in der Schlange vor der Disco und unterhalten sich aufgeregt. Wir haben, wie jedes Mal, unseren Stammplatz. Bevor sich die Gruppe trennt, halten wir trotz allem eine kurze Besprechung zwecks Treffpunktes und Heimfahrzeit. Manche Teilnehmer drehen ihre obligatorische Runde, andere verabschieden sich für den Rest des Abends in die Raucherecke. Mit dem Rest stürmt meine Kollegin die Tanzfläche. Jana, eine Teilnehmerin kommt auf mich zu und bittet mich sie auf die Toilette zu begleiten. Ich winke meiner Kollegin kurz zu sie weiß Bescheid, dass sie nun zusätzlich ein Auge auf den Stammplatz haben muss. Hier ist immer ein Mitarbeiter für die unterschiedlichen Anliegen der Teilnehmer greifbar. In der Warteschlange vor der Toilette unterhalten wir uns kurz über die Musik, der Bass vibriert. Jana erzählt, dass sie eben mit dem süßen Jungen vom letzten Mal geflirtet hat und gar nicht zur Toilette müsse, nur im Spiegel ihr Makeup checken möchte. Ich freue mich für sie, was für eine selbstbewusste Frau sie doch ist. Zurück von der Toilette geht nun jeder wieder seinen Gang und ich übernehme die Stellung an unseren Stammplatz. In der Menschenmenge, etwas weiter entfernt erkenne ich Tom, er kommt auf mich zu. freudestrahlend. In der Hand ein Getränk. Er bittet mich, ihm beim Bezahlen seines Cocktails zu helfen |
26.05.2021: Beitrag über nicht offensichtliche Behinderungen | |
| Das Leben ist schön manchmal, immer, nie?! Paare, die sich nichts sehnlicher wünschen als ein gesundes Kind und nach langem Warten auch schwanger werden, sind sich sicher: Egal was kommt, dies ist endlich das Geschenk des Himmels. Gemeinsam schaffen wir das. Als Eltern eines Kindes mit einer Autismus Diagnose, stürzt die Welt nicht ein. Man hat sein Kind eh schon Jahre begleitet, man liebt es und man lernt eben mit dem Verhalten sehr gut umzugehen. Die Diagnose brauchten nicht WIR, sondern die Gesellschaft zur Bestätigung, warum unser Kind in gewissen Situationen anders ist. Diese Erkenntnis setzte uns viel mehr zu. Überall hört man Inklusion und Eingliederung und sieht hübsche strahlende Kinder mit einer Beeinträchtigung die herzlich in die Gemeinschaft aufgenommen werden. Doch was ist, wenn man die Behinderung nicht sieht? Ein ganz normaler Junge, blond, schlank, unheimlich schlau und süß. Eben ein Michel Lönneberga Typ. Was passiert, wenn dieser 5-jährige Junge mitten im Restaurant einen Wutanfall bekommt, und man meint Godzilla erwacht. Die Blicke, die Kommentare, und der Versuch das Kind zu beruhigen setzen einen als Eltern enorm unter Druck. Man hört nur: Wir wollen hier in Ruhe essen! Erziehen Sie doch mal Ihr Kind! Das ist die Jugend von heute! Oh Gott der wird Ihnen das Leben später zur Hölle machen!. Die Hölle hatten wir bereits jetzt. Keinem ist aufgefallen, dass die Glühbirne über uns leicht geflackert hat, die Gerüche aus der Küche zu uns durchdrangen, dass der Lärmpegel in einem gut besuchten Restaurant für unser Kind zu laut war und natürlich unsere Erwartungshaltung als Eltern, endlich mal wieder gemeinsam schön Essen gehen, ihn überforderte. Also benimm dich, bitte! All dies ist für unser Kind zu viel und somit explodierte er vor lauter Anspannung. Sowie auch ganz oft, wenn zu viele Menschen um ihn herum sind. Dies sind aber nur kleine Momente. Die vergisst man schnell. Die Dinge, die einem den Schlaf rauben sind: Großeltern/Familie Kindergarten Schule Sportverein Übergang aufs Gymnasium. Die Großeltern, die permanent meinen, man habe das Kind nicht im Griff. Der braucht mal eine harte Strafe, wir sind zu nett Dabei ist unser Leben durchgespickt mit Struktur, Regeln und Konsequenzen. Wir fühlen uns, als ob wir die strengsten Eltern der Welt wären. Diese Auseinandersetzungen mit der eigenen Familie sind sehr anstrengend, Kräfte zehrend, enttäuschend und ermüdend. Wenn uns jemand fragt, ob es uns gut geht, ob wir denn klarkommen, und ob das nicht unheimlich anstrengend sein muss? Dann antworten wir: Nein, unser Kind ist nicht anstrengend. Wir lieben ihn so sehr. Er ist unser Geschenk des Himmels. Es ist das Umfeld, die Gesellschaft, die uns zum Weinen bringen. Zu Hause in seinem geschützten Umfeld ist er unheimlich liebevoll. Er verbringt gern Zeit mit uns, spielt Brettspiele, hilft beim Kochen und backt selbständig für uns Kuchen. Er erzählt uns spannende Geschichtsereignisse, die er irgendwo mal wieder in einem alten Lexikon gelesen hat und tauscht sich mit uns über politische Geschehnisse aus. Weltpolitik, Geschichte, Tiere, Musik, Experimente, Sprachen . Sein Wissensdurst ist kaum zu bändigen. Natürlich hat er auch mal schlechte Tage und motzt den Nachbarn an, weil er seinen Fußball einkassieren will oder die Türen werden geknallt, weil die böse Mutter ihm verbietet, vor den Hausaufgaben Computer zu spielen. Doch all das belastet unsere Familie nicht mehr als andere. Ständig stößt man mit einem besonderen Kind auf angeblich besonders intelligente Menschen: Z.B. der große Ortssportverein, der unser Kind nach jahrelanger Zugehörigkeit rauswarf, weil der neue Fußballtrainer ihn nicht mochte. Oder aber, da unser Kind besonders schlau ist, war für die Grundschule und uns klar: Er muss aufs Gymnasium. Aber mit Schulbegleitung, um ihm die Umstellung zu erleichtern. |
| Somit sprachen wir bei einigen Gymnasien in Bayreuth vor. Keines wollte so ein Kind. Der macht nur Probleme und Arbeit. Wir sind nicht konzipiert für solch ein Störungsbild. Und trotz einer Zusage, bekamen wir nach Ablauf der Anmeldefrist, die Absage. Unser Kind, dass sich bemühte, angepasst zu reagieren, an sich mehr arbeitete als alle anderen, zusätzlich bereits eine Schulbegleitung genehmigt bekam, wurde abgelehnt. Weil Inklusion dann eben doch nicht gleich Inklusion bedeutet. Dabei war der MSDA eingeschaltet, die Schulbegleitung bewilligt und schon parat. Das sind die Dinge, die uns als Eltern schlaflose Nächte bereiten. Der nächste Supergau kam allerdings bei einem Gespräch mit der nächsthöheren Instanz: Also mal ganz salopp gesagt: Tut uns leid, aber Ihr Kind hat keine medienwirksame Behinderung. Ein Down-Kind, oder ein Kind im Rollstuhl, oder ein blindes Kind: Das kann man gut in der Presse eines Gymnasiums als I-Kind (Inklusionskind) vermarkten. Wir wünschen Ihnen aber viel Glück bei der Suche nach einer geeigneten Schulform Ihres Kindes. Autisten sind ja eigentlich ganz tolle Kinder. Danach ist die Schulbegleitung abgesprungen und wir wussten bis Anfang September nicht, wie es für unser Kind weitergehen soll. Wie fühlt man sich da, wie und was sagt man da seinem Kind? Das Leben ist schön manchmal, immer, nie?! |
Für uns ist Inklusion ein Modewort welches gerade genutzt wird, um sich besser zu vermarkten. Inklusion muss aber auch gelebt werden, mit all seinen guten und schlechten Seiten. Inklusion bedeutet nun mal harte Arbeit, aber wertvolle und wichtige Arbeit. Wir wünschen uns sehr, dass man es irgendwann nicht benötigt, darauf aufmerksam zu machen, sondern dass Inklusion einfach zum Alltag gehört. Dank der wenigen Menschen, die wirklich Inklusion leben geht der mittlerweile Vorpubertierende heute auf ein Gymnasium mit einer wunderbaren Schulbegleitung, hat tolle Freunde, macht Sport und ist mega glücklich - unser Leben ist anders schön. | |
19.05.2021: Beitrag über Kommunikation auf Augenhöhe | |
Kommunikation auf Augenhöhe vor allem im Berufsleben Gerne würde ich mich (wieder) mit Menschen auf Augenhöhe unterhalten. Wie kommt es zu diesem Wunsch? Vor vielen Jahren hat das Schicksal bei mir zugeschlagen und mich zum Menschen mit einer Behinderung, zum Rollstuhlfahrer, gemacht. Seitdem sitze ich mit meinem Kopf niedriger als er bei erwachsenen Menschen sitzt. Ein Problem das mir lange Zeit nicht bewusst war. Zu groß war der Kampf wieder ein selbstständiges Leben führen zu können. Zu sehr war ich bemüht einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Auf Schule und Studium folgte das Berufsleben. Das Wort Inklusion gab es zu meinen Anfangszeiten nicht. Als Mensch, der auf den Rollstuhl angewiesenen ist, ist es schwierig sich mit Kollegen und besonders Vorgesetzten auf Augenhöhe zu unterhalten. Immer musste ich kämpfen um als gleichwertiger Mensch akzeptiert zu werden. Obwohl ich es geschafft habe einen fristlosen Arbeitsvertrag im Öffentlichen Dienst zu bekommen und dazu noch eine interessante Tätigkeit, musste ich feststellen: Eine Kommunikation auf Augenhöhe ist nicht selbstverständlich. Selbst eine Universität mit vielen hochqualifizierten, international und interkulturell erfahrenen Beschäftigten ist nicht immer bereit und reif mit Rollstuhlfahrern (Menschen mit einer Behinderung) auf Augenhöhe zu kommunizieren und diese auch wie gleichberechtigte Menschen zu behandeln. Beispiele: Mein Gesprächspartner (oft Vorgesetzter) steht im Dialog direkt vor mir, sodass ich angestrengt zu ihm hochschauen muss. | |
| Weiteres Beispiel: Ich unterhalte mich mit einer Person und plötzlich beginnt, eine hinter mir stehende Person (oft Kollege), über meinem Kopf ein Gespräch mit meinem Gesprächspartner. Andere Beispiele: Mir wurde eine Stellvertreterposition zugesagt, aber leider wurde versäumt, mich auch mit notwendigen Informationen auszustatten, damit ich diese auch gewissenhaft ausüben kann. Repräsentationsaufgaben wurden anderen Kollegen anvertraut. Kein Mut sich von einem Rollstuhlfahrer vertreten zu lassen? Oder: Schlimm waren auch offizielle Empfänge oder Festivitäten. Diese waren in der Regel als Stehempfang mit Stehtischen geplant. Eine Tischplatte, die sich auf Kinnhöhe befindet. Zum Essen und Trinken muss immer hochgriffen werden! Gespräche, die auf einem Niveau oberhalb meiner Ohren stattfinden. Du musst dich einerseits als Rollstuhlfahrer zeigen, aber andererseits wirst du nicht immer wahrgenommen. Übrigens: Kinder und kleinwüchsige Menschen haben oft die gleichen Probleme. |
12.05.2021: Beitrag über eine besondere Liebesbeziehung. | |
Eine besondere Beziehung Mama, passen meine Haare? Sitzt der Pulli gut? Es ist 14.45 Uhr an einem Samstagnachmittag und meine Tochter Linda (21) geht noch einmal mit mir ihr Outfit durch. Gleich kommt ihr Freund Matthias. Hätte mir jemand vor 2,5 Jahren gesagt, dass Sie jemals einen Freund haben würde, ich hätte es nicht für möglich gehalten. Linda hat frühkindlichen Autismus, der leider erst im Alter von 9 Jahren festgestellt wurde. Sie kann sehr ruhig und verschlossen sein und wenn man von ihr etwas Bestimmtes wissen möchte, muss man ihr das manchmal schon etwas aus der Nase ziehen. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Autisten, kann sie Blickkontakt halten, fordert diesen oft sogar ein, kann manchmal Nähe zulassen und sie kann normal sprechen. Somit hat sie nicht in die typische Autismus-Schublade gepasst, was viele Ärzte zuerst nicht beachtet haben. Mittlerweile arbeitet Linda in einer Behindertenwerkstatt und fühlt sich dort sehr wohl. Das liegt unter anderem daran, dass sie dort ihren Matthias kennenlernen durfte. Ich bin zuerst aus allen Wolken gefallen, als mir die Gruppenleitung am Telefon sagte, dass Linda einen Freund habe: Matthias, 31, der im Garten der Werkstatt arbeitet. Es schien mir schwer vorstellbar, dass Linda einen richtigen Freund hätte und diese Nähe zulassen kann. Also habe ich in der Werkstatt nach der Telefonnummer der Eltern von Matthias gefragt und seine Mutter Gabi angerufen. | |
Gabi war nicht ganz so überrascht wie ich, da Matthias schon mal Freundschaften mit Mädchen hatte. Aber sie war positiv überrascht über die Tiefe der Bindung, die zwischen den Beiden entstanden ist. Und über die Freundschaft, die sich dadurch zwischen unseren Familien entwickelt hat. Matthias hat, trotz seiner Lernbehinderung, die Förderschule und sogar eine Ausbildung zum Holzfachwerker geschafft. Wir haben beide schnell gemerkt, dass Linda und Matthias in dieser Beziehung aufblühen und glücklich sind. Auch der Altersunterschied spielt dabei gar keine Rolle. Deshalb haben wir die Beiden von Anfang an unterstützt und private Unternehmungen, außerhalb der Arbeit, möglich gemacht. Sie haben gemeinsam Ausflüge und sogar schon einen kleinen Urlaub mit den Gruppen der Offenen Hilfen von Regens Wagner unternommen. Inzwischen sind sie schon seit über zwei Jahren ein Liebespaar und die besten Freunde. Sie essen an jedem Arbeitstag gemeinsam Mittag und sind samstags abwechselnd bei einem von uns zu Hause. So sehen sie sich sogar öfter als manch andere Paare. Auch körperliche Sexualität ist für Linda und Matthias natürlich irgendwann Thema geworden. Daher haben wir für sie Termine bei Pro Familia gemacht - sowas möchte man ja nicht unbedingt mit den Eltern besprechen. Wir haben gemerkt, dass die Gespräche dort beiden gut gefallen haben und es ein Zeichen für sie war, dass wir ihre Beziehung ernst nehmen. An Linda und Matthias kann man sehen, dass Menschen mit einer Behinderung oder Beeinträchtigung genauso den Wunsch und das Recht nach Nähe und Partnerschaft haben, wie jeder andere auch. Mit Einsatz und Unterstützung von uns Eltern durch Fahrdienste, gemeinsame Absprachen und gemeinsames Lösen von Problemen, ist dies auch möglich und gibt dem Paar die Chance ihre Beziehung nach den eigenen Vorstellungen zu führen. | |
05.05.2021: Beitrag von einem jungen Mann im Rollstuhl. | |
Urlaub mit Hindernissen Ich buchte eine Reise zum Chiemsee. Im August sollte es losgehen. Es hieß: behindertengerechtes Zimmer. Ich dachte mir nichts dabei, aber ich sollte mein blaues Wunder erleben. In den Tagen zuvor hatte ich meine 7 Sachen gepackt genauer gesagt zwei Koffer - *grins*. Am Anreisetag verlud ich mein Gepäck und los ging´s mit dem PKW Richtung Süden. Nach 5 Stunden Autofahrt angekommen, die erste Überraschung. Eine Schranke an einem Großparkplatz mehrere hundert Meter vor dem Hoteleingang. Also im Hotel angerufen. Die freundliche Dame sagte mir, dass ich direkt neben dem Hoteleingang einen der beiden Behinderten-Parkplätze benutzen darf. Gott sei Dank! Problem gelöst. Am Parkplatz angekommen, half mir ein Hotel-Angestellter beim Ausladen und beim Transport des Gepäcks aufs Zimmer. Der Weg führte über einen alten Lastenaufzug mit sperriger Tür zum Öffnen. Aber na gut bin ja relativ kräftig. Dort angekommen die nächsten Überraschungen. Das Bett war ein 08/15-Standard-Bett, also eigentlich viel zu niedrig für einen Rollstuhlfahrer wie mich. Die Dusche war auch ziemlich schmal und eng. Aber ich bin ja Optimist und dachte mir: Das bekomme ich schon irgendwie hin. Ich hatte jetzt einen großen Hunger. An der Rezeption erfuhr ich, dass die Gaststätte bereits um 19 Uhr schließt und ich wollte mich eigentlich noch hinlegen nach der langen Autofahrt. Also was tun? Ich machte mich trotzdem auf zur Gaststätte nebenan. Nächstes Problem: gefühlte 20 Stufen und kein weiterer Eingang! Zuvor hatte die Dame an der Rezeption in der Gaststätte angerufen und mitgeteilt, dass ein Rollstuhlfahrer Hilfe benötigt. Es kamen zwei Kellner und trugen mich samt Rollstuhl die Stufen hoch und nach dem Essen natürlich wieder runter. Aber sowas war ich bereits ja schon gewohnt. Es gibt einfach immer noch viel zu viele Gebäude mit Treppenstufen. Im Außenbereich konnte ich mich nicht aufhalten, weil es regnete. Nach dem Essen war ich aber wirklich platt und konnte mich endlich ins Bett legen und richtig ausschlafen. Doch Moment mal! Das Bett war wie bereits erwähnt viel zu tief! Hineinplumsen lassen ist kein Problem, dafür sorgt ja die Schwerkraft *grins*, doch wie wieder herauskommen. Nach kurzem Grübeln die Idee! Ich stapelte einfach mehrere Kissen und Decken übereinander, setzte mich darauf und hob mich schnell von dort aus in den Rollstuhl! Puh! Ein ziemlicher Kraftakt aber geschafft! Ach ja, da war ja noch was Die Dusche war auch zu eng. Aber hierfür gibts ja Haltegriffe! Also hangelte ich mich von einem zum anderen auf den Duschsitz. Nächstes Problem gelöst! Yeah!! Alles in allem war es aber trotzdem eine schöne und abenteuerliche Woche am Chiemsee. Die Erfahrung, die ich in diesen Tagen machen musste, war zumindest was die Einstufung von Unterkünften betrifft behindertengerecht ist nicht gleich rollstuhlgerecht. Ein Lift und ein paar Haltegriffe reichen halt nicht! |